Eine jung Frau mit Downsyndrom hat eine Gießkanne in der Hand und lächelt.

Wenn das Kind mit Behinderung von zu Hause auszieht

Überlegen Sie, ob Ihr Kind bereit ist, von zu Hause auszuziehen? Oder haben Sie schon einmal daran gedacht? Für Eltern ist es oft schwierig, ihr Kind mit Behinderung irgendwann ziehen zu lassen. Doch Sie können sich auf den Auszug des Kindes vorbereiten.

Kann mein erwachsenes Kind mit Behinderung alleine leben?

Eltern haben manchmal Angst, ihr Kind loszulassen. Hat das Kind eine Behinderung, kann diese Angst noch etwas stärker sein. Gerade dann, wenn die Eltern das Kind viele Jahre unterstützt und gepflegt haben: Bei den vielen Besuchen bei der Physiotherapie, bei Ärztinnen oder Ärzten, beim Einnehmen von Medikamenten, bei der Körperpflege.

Für die meisten jungen Menschen ist es ganz normal, dass sie irgendwann von zu Hause ausziehen. Dabei ist es egal, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Eltern können ihr Kind stärken, wenn sie es ausziehen lassen. Denn so kann es sein Leben nach eigenen Wünschen führen. Und: Die Beziehung und die Liebe zwischen Eltern und Kind werden niemals aufhören – auch nach einem Auszug nicht.

Der Auszug des Kindes kann auch Entlastung sein

Eltern von Kindern mit Behinderung sind oft stark belastet: Meist haben Sie wenig Zeit für sich selbst, für Geschwisterkinder, Partner*in oder Job. Daher kann es auch für Eltern gut sein, wenn das Kind mit Behinderung irgendwann auszieht.

Außerdem kann es mit dem Alter für die Eltern schwer werden, das erwachsene Kind zu pflegen. Ziehen die erwachsenen Kinder mit Behinderung irgendwann aus, können sich die Eltern mehr um ihre eigene Gesundheit kümmern.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für den Auszug des Kindes?

Diesen Zeitpunkt gibt es nicht. Wann Kinder mit Behinderung von zu Hause ausziehen, ist sehr unterschiedlich. Manche Kinder mit Behinderung gehen schon in der Schulzeit auf ein Internat. Andere ziehen im Alter von 18 Jahren oder später aus. Wann der richtige Zeitpunkt ist, hängt auch von folgenden Fragen ab:

  • Wünscht sich das Kind selbst, auszuziehen?
  • Wie viel Unterstützung und Pflege braucht es?
  • Gibt es passende Wohn-Angebote?

Für junge Menschen ist es meist leichter, von zu Hause auszuziehen. Denn junge Menschen gewöhnen sich oft einfacher an Veränderungen. Für ein erwachsenes Kind mit Behinderung im Alter von 30 oder 40 Jahren ist es meist schwieriger, sich an Neues zu gewöhnen.

Wichtig ist, dass Sie mit Ihrem Kind reden. Was wünscht sich Ihr Kind? Und wie können Sie als Eltern das Kind dabei unterstützen? Manchmal kann auch eine Beratung hilfreich sein:

  • EUTB-Beratungsstellen gibt es an vielen Orten in Deutschland. Die Beratungsstellen beraten Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen zu vielen verschiedenen Themen. Das Besondere an diesen Beratungsstellen ist: Hier beraten oft Menschen, die selbst eine Behinderung haben.
  • Behindertenverbände: Es gibt für verschiedene Behinderungsarten, Selbsthilfevereine oder Verbände. So können Sie zum Beispiel bei der Lebenshilfe Beratung bekommen, wenn Ihr Kind eine Lernbehinderung hat. Oder beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm), wenn Ihr Kind eine körperliche Behinderung hat. Meist beraten die Verbände aber auch, wenn Ihr Kind eine andere Behinderung hat.
  • Selbstvertretungen und Selbsthilfevereine: Für manche Eltern und auch Kinder kann es sehr hilfreich sein, wenn sie mit anderen Eltern oder Kindern sprechen. Wie war es für andere Eltern, als das Kind ausgezogen ist? Wie lebt jetzt das Kind mit Behinderung? Gibt es Tipps und gute Beispiele? Fragen Sie zum Beispiel bei der EUTB-Beratung, welche Vereine es in Ihrer Nähe gibt.
  • Freie Wohlfahrtsverbände: Meist bieten auch die Arbeiterwohlfahrt, Caritas, das Deutsche Rote Kreuz oder die Diakonie Hilfe und Beratung an.

Sie können auch die Datenbank-Suche des Familienratgebers nutzen. 

Verschiedene Wohnformen

Viele Eltern denken nur an die beiden extremen Möglichkeiten: Die Eltern versorgen das Kind ganz alleine. Oder das Kind lebt komplett getrennt und selbstständig. Dazwischen gibt es aber noch viele andere Möglichkeiten: Von der besonderen Wohnform mit 24-Stunden-Betreuung bis hin zur eigenen Wohnung. Meist hat das Kind andere Menschen um sich herum:

  • In inklusiven Wohngemeinschaften (WGs) leben junge Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Sie verbringen auch viel Zeit miteinander.
  • Man kann auch in einer eigenen Wohnung wohnen und Unterstützung bekommen. Zum Beispiel in Form einer Teilhabe-Assistenz. Das nennt man "Betreutes Einzelwohnen".
  • Manchmal sind solche einzelnen Wohnungen für Menschen mit Behinderung nah beieinander, zum Beispiel in einem gemeinsamen Haus. Das nennt man Wohnverbund. Auch hier können sich Menschen leicht treffen und zusammen etwas unternehmen.
  • In Mehr-Generationen-Häusern wohnen Menschen mit verschiedenem Alter an einem Ort: also auch junge und ältere Menschen mit und ohne Behinderung. Sehr oft gibt es in Mehr-Generationen-Häusern auch Gemeinschaftsräume. Dort können die Bewohner*innen gemeinsam kochen, spielen oder sich unterhalten.

Anfangs wünschen sich junge Menschen mit Behinderung meist mehr Unterstützung. Und sie wollen nicht so oft alleine sein. Wenn sie jedoch einige Zeit in der eigenen Wohnung wohnen, wird dieser Wunsch meist weniger.

Mehr zu den verschiedenen Wohnformen können Sie im Familienratgeber-Artikel Selbstbestimmt Wohnen nachlesen.

Vor der Entscheidung erst ausprobieren

Eltern und Kind können auch zuerst testen, getrennt voneinander zu wohnen. Dafür kann das Kind ein paar Tage oder Wochen zur Probe alleine oder mit Betreuung wohnen. So erfahren auch Sie, wie sich der neue Alltag anfühlen kann. Für dieses sogenannte „Kurzzeit-Wohnen“ können Sie auch finanzielle Unterstützung bekommen. Das bedeutet, dass zum Beispiel die Pflegekasse oder die Eingliederungshilfe einen Teil der Kosten zahlt.

In manchen Wohn-Einrichtungen für Menschen mit Behinderung ist ein Probe-Wohnen sogar Pflicht, bevor man fest einzieht.

Eltern und Kind können beim Probe-Wohnen ausprobieren, wie sie sich dabei fühlen. Eltern könnten zum Beispiel über das Wochenende alleine Urlaub machen. Und das Kind ist beim Kurzzeit-Wohnen gut versorgt. So übt es schon in jungen Jahren, für ein paar Tage allein zurechtzukommen. Je öfter man so etwas übt, desto leichter kann ein richtiger Auszug später funktionieren. Das Kind gewinnt durch das Üben Selbstvertrauen. Es lernt, dass es schon ein paar Tage allein auf sich aufpassen kann. Und, dass es Verantwortung übernehmen und eigene Entscheidungen treffen kann.

Wenn Sie und Ihr Kind das Probe-Wohnen ausprobieren wollen, können Sie sich dazu beraten lassen. Zum Beispiel bei EUTB-Beratungsstellen oder bei Anbieter*innen von Wohnangeboten selbst, wie zum Beispiel Lebenshilfe, Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt. Dort können Sie auch Fragen zur Eingliederungshilfe und zu den Kosten stellen.

Mut und Unterstützung durch die Eltern

Jugendliche mit Behinderung haben oft selbst den Wunsch, auszuziehen. Sie wollen endlich selbst entscheiden und sich erwachsen fühlen. Und sie wollen auch mehr Zeit mit anderen jungen Menschen verbringen. Wer getrennt von den Eltern wohnt und gut damit zurechtkommt, ist meist sehr stolz auf sich selbst. So kann Ihr Kind die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln. Zum Beispiel können junge Menschen Hobbys ausprobieren, neue Menschen oder neue Orte kennenlernen.

Gleichzeitig haben die Jugendlichen aber oft auch Angst und trauen sich den Auszug nicht zu. Auch das ist verständlich, denn es ist ein großer Schritt! Die Jugendlichen brauchen daher jemanden, der ihnen Mut macht und an sie glaubt. Und genau hier können Eltern wichtige Unterstützung geben: Reden Sie mit Ihrem Kind darüber und gehen Sie diesen großen Schritt gemeinsam.

Auszug von Kindern mit geistiger oder mehrfacher Behinderung

Auch junge Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung können und wollen ohne die Eltern wohnen. Denn: Eltern können sich oft irgendwann nicht mehr um ihr Kind kümmern. Zum Beispiel, weil sie zu alt sind, krank werden oder sterben. Dann muss das Kind plötzlich, vielleicht mit 55 Jahren, zum ersten Mal woanders wohnen. Vor allem Menschen mit geistiger Behinderung brauchen aber viel Zeit, um sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen. Vor allem, wenn sie schon älter sind und noch nie vorher ohne die Eltern gewohnt haben. Deshalb hilft es sehr, wenn Kinder schon in jungen Jahren üben, alleine zu wohnen.

Suchen Sie nach Wohn-Angeboten, bei denen Ihr Kind die Unterstützung bekommt, die es braucht. Vielleicht wollen Sie Ihr Kind auch selbst so oft wie möglich unterstützen. Wenn Sie zum Beispiel eine Wohngemeinschaft in der Nähe finden, können Sie Ihr Kind jeden Tag besuchen.

Starten Sie am besten mit Probe-Wohnen. Hat das gut geklappt, können Sie und Ihr Kind mit einer Wohnform anfangen, in der das Kind viel Unterstützung bekommt: zum Beispiel das stationäre Wohnen. Danach können Sie in kleinen Schritten zu Wohnformen wechseln, bei denen das Kind selbstständiger sein muss: zum Beispiel das "Betreute Einzelwohnen".

In manchen Städten gibt es sogenannte „Wohnschulen“. Dort lernen Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung alles Wichtige, um möglichst selbstständig zu sein.

Im Video der Lebenshilfe Österreich erzählen Eltern, wie es für sie war, als das Kind mit Lernbehinderung ausgezogen ist.

Das Kind finanzieren, wenn es getrennt von Ihnen wohnt

Sie können auch dann finanzielle Unterstützung für Ihr Kind bekommen, wenn Ihr Kind nicht mehr bei Ihnen wohnt. Sie können zum Beispiel Kindergeld und Pflegegeld bekommen. Vielleicht macht Ihr Kind auch eine Ausbildung oder beginnt zu arbeiten. Damit verdient es auch eigenes Geld. Wer trotzdem nicht genug Geld hat, kann weitere finanzielle Unterstützung für das Kind beantragen:

Wenn Ihr Kind wegen einer Behinderung eine barrierefreie Wohnung braucht, kann es Geld für den barrierefreien Umbau bekommen. Lesen Sie dazu mehr im Familienratgeber-Artikel „Barrierefreier Bau“. Manchmal hat Ihr Kind auch das Recht auf mehr Wohnraum: zum Beispiel, wenn es wegen seines Rollstuhls mehr Platz braucht.

Zuletzt aktualisiert am 23. Februar 2024

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